414
Dieſen Reim ſprach die Schildbürgerin, die ſich
nicht wenig auf ihre Dichtkunſt zu gute that, ihrem
Hauswirth neun und neunzig Mal vor, und er ebenſo
oft ihr nach, bis er ihn ganz gekaut und verſchluckt
zu haben meinte. Aber auch die andern Schildbürger
hatten nicht geraſtet, vielmehr hatten Alle vom eifrigen
Reimen größere Köpfe gekriegt, und da war ihrer Kei—
ner, der nicht die ganze Nacht über Schultheiß geweſen
wäre. ö
Als nun der angeſetzte Tag erſchien, an welchem
ein weiſer Rath zuſammentrat, um zur Wahl eines
Schultheißen zu ſchreiten, da hätte man Wunder hören
können, welch' zierliche, wohlgeſchloſſene Reime von ih—
nen vorgebracht wurden. Freilich war es Schade, daß
die edlen Rathsherren ſammt und ſonders, in langer
Ausübung ihrer verſtellten Narrheit, zu einem ſo ſchwa—
chen Gedächtniſſe gekommen waren, daß ihnen allemal
das rechte Schlagwort des Reimes beim Herſagen
ausgieng, ſo daß zum Beiſpiel der fünfte (denn der
erſten vier vortreffliche Reime ſind verloren gegangen)
ſeinen Reim alſo vorbrachte:
Ich heiße Meiſter Hildebrand
Und lehne mein'n Spieß an die — Mau'r.
Worüber denn jedesmal die andern Alle lachten,
jeder, bis das Reimen an ihn ſelber kam. Der Schwei—
nehirt ſtand weit hinten, und wegen ſeines niedrigen
Standes kam die Reihe unter den Letzten an ihn.
Er war in tauſend Aengſten, denn er fürchtete immer,