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nicht, ob ſie hoffen oder noch Aergeres erwarten ſollte.
Sie ſprach daher zu dem Unbekannten: „Werther Herr!
wie übel habt ihr an mir, meinem Vater, meiner herz—
lieben Mutter und allen den Meinigen gethan! So
viele Tage ſind es, daß ihr mich hergeführt habt, und
ich mit Wurzeln und Kräutern mein Leben friſten
mußte. Wolltet ihr mir nun vergönnen, mit meinen,
Eltern und Geſchwiſtern zu ſprechen und mich zu ihnen
führen, ſo will ich euch hier unverbrüchlich angeloben,
daß ich wieder auf dieſen Stein und an dieſe Stelle zu
euch kommen will, auch euch gerne folgen, wohin ihr
ſonſt mich führen wollet.“ Aber das Ungeheuer ſprach
zu der Jungfrau: „Du bitteſt vergeblich; du wirſt nicht
allein Vater, Mutter und Brüder nicht wieder ſehen,
ſondern auch keinen einzigen Menſchen jemals wie—
der.) Dieß war der Jungfrau ein Donnerſchlag in
Seele und Herz. Als ſie nun im Todesſchrecken nieder⸗
geſunken ſaß und kein Wort mehr reden konnte, da
ſprach der Menſch, der ein Drache geweſen war, zu ihr:
„Du darfſt dich nicht ſo ſehr kümmern, noch viel weni—
ger haſt du dich meiner zu ſchämen. Ich verwandle
mich zwar jetzt wieder in einen Drachen; und du mußt
harren bei mir fünf Jahre und einen Tag; dann aber
werde ich wieder zu einem Manne und du wirſt meine
Frau. Am Ende wirſt du freilich mit mir zur Hölle
fahren, und da wird ein einziger Tag ſeyn, wie ein gan⸗
zes Jahr.“ Als die Jungfrau dieſe erſchrecklichen Worte
hörte, ſo erzitterte ſie an Leib und Seele. Bald betete ſie
zu Gott, bald ſchrie ſie zu ihren Eltern und Geſchwiſtern