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Leidenſchaftlichkeit aus. Als aber nun ſein ernſter, be—
ſorgter Blick ſie traf, hielt ſie augenblicklich inne. Wie
von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, ſprang ſie auf,
legte die Hand an die Stirn, ſchien einige Secunden lang
in Träumerei verloren, blickte dann mit hellem Lächeln
auf und ſagte: „Wenn denn Selim mein ſein ſoll, ſo
verſpreche ich Ihnen treulich, ihn recht lieb zu haben und
für ihn zu ſorgen, wie Sie ſelbſt.“ Und mit dieſen letz⸗
ten Worten ſtürzte ſie aus dem Zimmer. Oberſt Lindores
ſtand da, ihr im höchſten Erſtaunen nachblickend, denn
was ſollte er von ſo ſeltſamen Grillen und widerſpre—
chenden Launen denken? — — Es war indeſſen wirklich
ſo, wie der Oberſt geſagt hatte: Fräulein Sowerby
machte für ihre geringen Mittel in der That großartige
Zurüſtungen. Sie ließ ſich ein neues Kleid nebſt Haube
aus T.. bringen, und in ihrem eigenen Zimmer wur—
den vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend alte Sa—
chen geändert und aufgefriſcht. Dieſes große Ereigniß in
ihrem ſtillen, gleichförmigen Leben nahm ihr liebevolles,
hingebendes Herz ſo gänzlich ein, daß es vorauszuſehen
war: eine mögliche Täuſchung müßte ihr gefährlich wer—
den. — — Gegen das Ende der zweiten Woche nach
dem Eintreffen der Einladung drohete ein anhaltender,
dichter Schneefall, die Wege und Landſtraßen, welche
ohnehin zwiſchen unſerm alten Hauſe und der Priory we—
nig gebahnt waren, ganz zu verſperren. Fräulein So—
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