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und da wir Mondſchein haben, thut es nichts, wenn Du
auch etwas ſpät ankommſt.“ — So ward es denn aus—
gemacht, daß Michel am folgenden Tage nach Grandpré
hinüber reiten ſollte, um zu ſehen, ob er zu Iſabel Gerard
Neigung faſſen könnte; doch machte er mit ſchwerem Herzen
ſeine Vorbereitungen zur Brautſchau. — An demſelben
Abend, da dieſe Unterredung Statt fand, nachdem die
Kinder zu Bette gebracht waren und die übrige Familie
ſich um den Herd verſammelt hatte, kam eine alte Bäuerin,
Namens Barbara, welche in einer kleinen Hütte an der
Grenzſcheide von Paſtorers Pachtgut lebte, um ſich die
Fleiſchſuppe zu holen, die ſie zweimal in der Woche von
der Pachterin belkam. — „Setzt Euch, Barbara,“ ſagte
Mutter Anna, „und laßt uns hören, wie es zur Zeit
mit Euch ſteht.“ — „Nicht ſchlimmer, als mit den An—
dern neben mir, denke ich,“ antwortete Barbara, „aber
ich werde meine kleine Fanchon verlieren.“ — „Sie ver—
lieren! Wie? Wird ſie ſich verheirathen?“ fragte der
Pachter. — „Verheirathen! Das arme Kind! wer wollte
die wohl nehmen? Nein, nein! aber ſie kommt nach
Grandpré; ich habe da eine Stelle für ſie beim Pachter
Gerard. Es iſt hart für mich, ſie von mir zu laſſen, aber
in Dienſt muß ſie doch einmal, und bald iſt der Winter
da; wenn ſie dann Etwas verdient, kann ſie mich mit
durchſchleppen.“ — „Eure Fanchon iſt noch ſo klein, daß
wir faſt ihr Alter vergaßen,“ ſagte Mutter Anna; „doch
C. Grimm, Lebensbilder. 14